Grünwachsen

Grünwachsen

2011
Digitaldruck
Dummy
21,4 x 29,3 cm
180 Seiten
81 farbige Abbildungen
Deutsch / Englisch
Hardcover, Leineneinband
Gestaltung Andrea Baumgartl, Berlin
Texte: Henry David Thoreau

Henry David Thoreau
Auszug aus: Walden oder Leben in den Wäldern, 1854
Übersetzt von Fritz Güttinger


Alle Gewässer in der Gegend um Concord weisen mindestens zwei Farben auf, die eine, wenn man sie aus der Ferne betrachtet, die andere, eigentliche, aus der Nähe. Die erste richtet sich mehr nach dem Tageslicht und der Witterung. An klaren Sommertagen wirken sie schon aus geringer Entfernung blau, namentlich wenn sie aufgewühlt sind, und aus großer Entfernung sehen sie alle gleich aus. Bei stürmischem Wetter sind sie manchmal von einem dunklen Schiefergrau. Das Meer dagegen soll an einem Tag blau, an einem andern grün sein, ohne merkliche Veränderung in der Atmosphäre. An unserem Fluss habe ich schon beobachtet, dass mitten in einer verschneiten Landschaft sowohl das Wasser als auch das Eis grasgrün waren. Manche betrachten Blau als die eigentliche Farbe des Wassers, ob flüssig oder fest. Schaut man aber von einem Boot aus geradewegs in unsere Gewässer hinunter, ist ihre Färbung ganz verschieden. Der Waldensee ist, vom selben Punkt aus gesehen, bald blau, bald grün. Zwischen Erde und Himmel gelegen, hat er an der Farbe von beiden teil. Von einer Anhöhe aus gesehen, spiegelt er die Farbe des Himmels wider; aus der Nähe ist er jedoch am Ufer, wo man den Sand sehen kann, gelblich getönt, dann hellgrün, woraus nach der Mitte des Sees zu ein gleichmässiges Dunkelgrün wird. Je nach der Beleuchtung ist das Wasser auch am Ufer von einem lebhaften Grün. Man hat das auf die grünen Bäume ringsum zurückgeführt, aber gegen den Bahndamm hin ist es ebenso grün, und auch im Frühling, wenn die Bäume zum Teil noch kahl sind; vielleicht ergibt sich das einfach aus einer Mischung der vorherrschenden Bläue mit dem gelb des Sandes. Hier dem Ufer entlang ist es auch, wo das Eis an der Frühlingssonne zuerst schmilzt und um die vereiste Mitte herum eine schmale Rinne entsteht. Bei hohem Wellengang scheint das Wasser aus einiger Entfernung von einem dunkleren Blau als der Himmel selber; in einem solchen Fall habe ich aber vom Boot aus manchmal auch ein unvergleichliches Hellblau wahrgenommen, wie das von schillernder Seide oder blankem Stahl, so dass das Dunkelgrün beiderseits des Wellenkamms stumpf und matt wirkte. Es ist ein glasig- grünliches Blau wie jene Stellen am winterlichen Himmel, die vor Sonnenuntergang zwischen den Wolken hindurch zu sehen sind. Hält man aber ein Glas voll dieses Wassers gegen das Licht, ist es so farblos wie die Luft.

Copyright: 1972, Manesse Verlag, Zürich, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München